Wenn dem Militär vom eigenen Volk weder Vertrauen noch Respekt erwiesen wird, wie soll da Berufsstolz entstehen? Für eine Berufsarmee ist es nicht einfach, wenn ihr Berufsstand sogar als verfassungswidrig gilt und aus politischen Interessen negativ betrachtet wird. Das Volk ist dafür verantwortlich, das Militär in der Verfassung zu verankern.
Durch Public Relations bemüht sich das Militär im Allgemeinen darum, dem eigenen Volk offen und nah gegenüberzutreten. Das Volk andrerseits versucht, sein Militär zu verstehen, damit es seinen Streitkräften vertrauen kann. Somit werden der Respekt vor dem eigenen Militär einerseits und die Loyalität des Militärs dem Staat gegenüber geschaffen. Normalerweise muss darüber nicht viel diskutiert werden.
Vor kurzem jedoch wurde in Japan eine von einer Stadt und dem japanischen Militär (Self-Defense Forces, SDF) organisierte Veranstaltung annulliert. Die kommunistische Partei und ihr nahestehende Organisationen verlangten ausserdem die Absage einer schon geplanten Militärflugschau mit der Begründung, dass militärische Tarnkleidung und Kampfjets mit Krieg verbunden sind und daher Krieg vorstellbar sei.
Rettungseinsätze bei Katastrophen und Landesverteidigung
Das japanische Militär hat viel Verständnis und Dankbarkeit von seinem Volk erhalten, da die Truppen unermüdlich bei Naturkatastrophen für Rettungsaktionen und Patiententransporte im Einsatz stehen. Bereits bis September dieses Jahres kamen die japanischen Streitkräfte drei Mal zu einem Grosseinsatz: im Juni bei Erdbeben, im Juli und August bei Unwettern und im September wieder bei Erdbeben. Im Jahr 2017 waren die Streitkräfte bei 501 Fällen im Einsatz (2016 in 516 Fällen). Im Durchschnitt über die letzten 10 Jahre lag die Einsatzzahl bei über 500 Fällen pro Jahr, wovon 1% bis 4% auf Naturkatastrophen wie massive Schnee- oder Regenfälle oder Waldbrände und Erdbeben und ca. 80% auf Patiententransporte fielen.[1] Die immer kühner werdende Expansionspolitik Chinas, die unklare Lage von Nordkoreas Nuklear- und Raketenentwicklung, und auch das russische Militär in der Nähe des japanischen Hoheitsgebietes zwingen die japanischen Streitkräfte zum Dauereinsatz. Beispielsweise betrug die Anzahl der Scrambles (von meist russischen und chinesischen Maschinen verursacht) im Jahr 2017 904 und 1168 im Jahr 2016.[2] Schiffe der chinesischen Küstenwache dringen routinemässig in japanische Hoheitsgewässer bei den umstrittenen Inseln im Ostchinesischen Meer ein. Darauf reagiert zwar Japans Küstenwache, aber dahinter stehen wieder die Seestreitkräfte Japans.
Mangel an Soldaten
Das japanische Militär besteht momentan aus ca. 224,000 Personen (90.8% Erfüllung), was ca. 0.2% der gesamten Bevölkerung Japans darstellt. Angesichts der um Japan herum immer heikler werdenden Lage und der gleichzeitigen Zunahme von Naturkatastrophen ist der Bestand der japanischen Streitkräfte zu klein. Ein besonders ernsthaftes Problem ist der Erfüllungsgrad bei den Soldaten: nur 69.5% im März 2017.[3] Es ist bekannt, dass je besser die Wirtschaft läuft, desto schwieriger die Rekrutierung wird. Soldaten sind meistens auf 2 bis 3 Jahre befristete Angestellte, die 2 Jahre verlängern können. Danach verlassen sie entweder die SDF oder werden Festangestellte. Die Wahrung eines Kaders von qualifizierten Unteroffizieren wird auch wegen der Schrumpfung des Soldatenbestandes immer schwieriger. Zudem fehlt eine Rekrutierungsunterstützung durch die Gemeinden. Es wäre sicher hilfreich, die Sozialpläne für Soldaten (Alter meistens zwischen 20 und 26), die nach befristeten Anstellungen die SDF verlassen, und auch für Unteroffiziere mit einem Ruhestandsalter von 53 Jahren attraktiver zu gestalten. Das ist allerdings eine rein aus finanzieller Sicht problematische Betrachtungsweise.
Verzerrt entwickelter Pazifismus
Die japanischen Streitkräfte sind intern stets mit unsicheren und demotivierenden Positionen konfrontiert. Der japanischen Verfassung gemäss darf Japan keine Armee unterhalten; Wissenschaftler argumentieren seit vielen Jahren über die Legalität oder Illegalität der SDF gemäss Verfassung. Der amtierende Premier Shinzo Abe hat eine Verfassungsänderung ins Auge gefasst. Japans Verfassung, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den US diktiert wurde, hat bis jetzt überhaupt keine Änderungen erfahren. Vor allem über Artikel 9, Verzicht auf Militär, wird immer wieder zwischen Politikern, Wissenschaftlern und dem Volk hitzig gestritten.
Dazu könnte sich auch der Pazifismus in Japan verzerrt entwickelt haben. Gemäss einer Umfrage der Regierung im Januar 2018 zeigten 31.4% der Befragten ein Desinteresse an den japanischen Streitkräften. Im Gegensatz dazu befanden 85.5%, dass die Gefahr bestehe, dass Japan in der gegenwärtigen Situation angegriffen oder in Krieg involviert werden könnte. Ein noch markanteres Ergebnis ist aber, dass 19.6% der Befragten im Fall ausländischer Invasionen Widerstand ohne Gewalt und 6.6% gar keinen Widerstand leisten würden.[4] Ein solches Verhalten ist wohl auf die Vorstellung zurückzuführen, dass niemand Japan angreifen wird, wenn Japan Andere nicht angreift. Japan sollte daher kein Militär besitzen und infolge Artikel 9 der Verfassung, Verzicht auf Militär, kann der Friede gewährleistet werden.
Dieses Abwehrverhalten gegenüber der SDF beruht möglicherweise auch auf Propagandaaktionen Chinas und Koreas. Seit einigen Jahren erscheinen Meinungen und Texte über die Unabhängigkeit Okinawas von Japan, was ein neues Phänomen darstellt. Auch die politischen Beziehungen zwischen Okinawa und China sind angeblich stärker geworden. Die umstrittenen Senkaku Inseln gehören zur Okinawa Präfektur, aber der Gouverneur Okinawas kritisiert trotz täglicher Bedrohungen von Chinas Küstenwache und Fischerbooten China nicht. Auf Okinawa sind auch US Truppen stationiert, da die geographische und strategische Lage der Insel bedeutend ist. Es wurde berichtet, dass einige Teilnehmer an Demonstrationen gegen die US Stützpunkte auf Okinawa Südkoreaner und Japaner waren, die ausserhalb Okinawas wohnen.[5] Über eine angebliche chinesische Unterstützung für die Demonstrationen wurde auch in den USA und Japan berichtet.
Obwohl Premier Abe Artikel 9 der Verfassung ändern und die Existenz des Militärs verankern lassen will, gibt es starke Gegner auch innerhalb seiner Partei. Für die japanischen Streitkräfte wirken solche politischen Verständnisse nebst der angespannten finanziellen Situation (fehlende attraktive Sozialpläne) für ihren Berufsstand und ihre Aufgaben eher demotivierend.
Fazit
Obschon die Japaner der SDF als Rettungsmannschaft bei Notlagen oder Katastrophen Dank aussprechen, zeigen sie wenig Interesse an der eigentlichen SDF- Aufgabe, nämlich der Landesverteidigung. Das zeigt auch klar das Resultat der obgenannten Umfrage. Sowohl das Hauptinteresse als auch die grösste Erwartung des Volkes an die SDF liegt im Katastropheneinsatz. Es wäre aber wichtig, die Realität im Auge zu behalten und der SDF unvoreingenommen gegenüberzutreten angesichts der immer gefährlicher werdenden Situation um Japan herum. Erst dann können echte und konstruktive Diskussionen über die SDF, die Verteidigungspolitik und auch eine Verfassungsänderung beginnen. Artikel 9 der Verfassung, Verzicht auf Militär, kann Japan und das Volk leider nicht verteidigen. Public Relations inkl. Veranstaltungen sind gute Wege für das Volk, sich seinen Streitkräften anzunähern. Solche Chancen durch Zwang und Proteste zu eliminieren ist nicht konstruktiv. Premier Abe ist noch längstens drei Jahre im Amt. Es heisst, dass falls eine Verfassungsänderung innerhalb seiner verbleibenden Amtszeit scheitert, es 50 Jahre oder mehr dauern könnte, bis das Thema wieder ernsthaft auf den Tisch kommt. Die japanischen Streitkräfte bleiben dann weiterhin illegal und vom Volk nicht respektiert; zudem entwickelt sich in einer solchen Lage auch kein Berufsstolz. Es ist höchste Zeit, dass Japan seinem eigenen Militär vertraut und stolz darauf ist.
[1] Joint Staff Press Release, Japan Ministry of Defense, April 30, 2018. http://www.mod.go.jp/js/Press/press2018/press_pdf/p20180420_01.pdf
[2] Joint Staff Press Release, Japan Ministry of Defense, July 18, 2018. http://www.mod.go.jp/js/Press/press2018/press_pdf/p20180718_02.pdf
[3] Defense Paper 2017, Japan Ministry of Defense. http://www.mod.go.jp/j/profile/mod_sdf/kousei/
[4] Cabinet Office, Government of Japan, 2018. https://survey.gov-online.go.jp/h29/h29-bouei/gairyaku.pdf
[5] Sankei Shinbun: Kagekika suru Okinawa Hankichiundou (aggresiver werdende Angi-US Militärstützpunkte), 5. Juni 2017. https://www.sankei.com/affairs/news/170605/afr1706050018-n1.html