Chinas Politik „Gemeinsamer Wohlstand“ stösst auf ein geteiltes Echo. Ob diese Politik zusammen mit der Antikorruptionspolitik den Wohlstand der armen Bevölkerung heben kann, ist fraglich. Sie hilft und dient aber dem Machtausbau von Staatspräsident Xi Jinping und dem Erhalt der kommunistischen Partei. Der Machtkampf scheint härter denn je.
Wege zu Xi Jinpings Machtkonzentration
Es gibt drei bekannte, politisch mächtige Fraktionen in China. Eine ist die Shanghai Fraktion. Sie wird auch Jiang Zemin Fraktion genannt. Eine andere ist die Liga-Fraktion, die aus dem kommunistischen Jugendverband stammende Personen umfasst. Sie wird auch Hu Jintao Fraktion genannt. Die letzte ist die Prinzling Fraktion. Sie besteht aus den Nachkommen hoher kommunistischer Parteifunktionäre. Somit gehören etliche Politiker, darunter auch Xi Jinping, dieser Fraktion an. Im Vergleich zu den Liga- und Shanghai Fraktionen herrschen in der Prinzling Fraktion angeblich lockerere Bindungen. Nachdem die kommunistische Partei Chinas im Jahr 1949 den Krieg gegen die von Chiang Kai-shek geleitete Kuomintang gewann, erhielten die Funktionäre der Partei und der Armee Privilegien und deren Bewahrung wird bis heute akzeptiert. Ganz wenige Familien und deren Nachfolger geniessen diese Privilegien in China. Mehrere Politiker und Geschäftsleute gehören deswegen der Prinzling Fraktion an, aber einige gehören gleichzeitig auch zu einer anderen Fraktion, z.B. der Jiang Zemin Fraktion.
Nachdem der Gründer der Volksrepublik China, Mao Zedong, im Jahr 1976 starb, führte Deng Xiaoping faktisch von 1979 bis 1997 die kommunistische Partei Chinas (KPCh). Seine Nachfolger waren Jiang Zemin (Staatspräsident 1993-2003), danach Hu Jintao (Staatspräsident 2003-2013), und aktuell Xi Jinping. Xi Jinping führte bekanntlich die Antikorruptionspolitik ein, die das wegen der Korruption kommunistischer Parteifunktionäre und -mitglieder verärgerte Volk begeisterte. Die Antikorruptionskampagne ist jedoch sehr wahrscheinlich nur selektiv durchgeführt worden. So konnte Xi seine Macht relativ gut stärken. Mit dieser Politik brachte er seine Gegner gegen sich auf. Obwohl Xi Jinping mit der Unterstützung von Jiang Zemin (Shanghai Fraktion) zum Generalsekretär der KPCh gewählt wurde, will er wohl zu Gunsten der Stärkung seiner Macht andere Fraktionen schwächen.
Die Politik „Gemeinsamer Wohlstand“ und das Steuersystem
Mao Zedong setzte zwischen 1951 und 1952 eine Antikorruptionspolitik durch. Seine Politik wurde vom Volk begeistert begrüsst. Sie zielte aber hauptsächlich auf die Unterstützer der Kuomintang ab. Xi Jinpings Antikorruptionskampagne und der „Gemeinsame Wohlstand“ könnten sehr ähnlich wirken. Maos Nachfolger Deng Xiaoping führte wirtschaftliche Reformen durch. Chinas Wirtschaft wuchs, aber dies vergrösserte anderseits massiv das Wohlstandsgefälle im Volk. Immobilien und die Bauindustrie haben angeblich das Wirtschaftswachstum Chinas angeführt. Mit zunehmender Einwohnerzahl der Städte wuchs die Nachfrage nach Wohnungen, aber schon ab 2008 überschritt das Angebot die Nachfrage. Obwohl die Reichen zwei oder drei Wohnungen als Investition gekauft haben, finden sie nun keine Käufer mehr. Es gibt schätzungsweise ca. 100 Millionen leere Eigentumswohnungen. Die Leute, die vom Land in die Stadt umzogen, haben wegen ihrer bürgerlichen Register als Bauern kein Recht, eine Wohnung in der Stadt zu kaufen. Selbst wenn sie das Recht hätten, wären die Wohnungen für sie unerschwinglich.[1] Der Boden in China gehört dem Staat. Die lokalen Regierungen erhalten die Grundstücksmiete, was für sie zu einer der grossen Finanzquellen geworden ist.
Das Steuersystem Chinas ist vorteilhaft für die Reichen. Es gibt keine Erbschaftssteuer und auch keine Vermögenssteuer auf Immobilien. Die Vermögenssteurer beträgt einheitlich 20%, und die Überprüfung der Einkommen und des Vermögens ist nicht zuverlässig. Überdies sind des Volkes Pflichtgedanken ans Steuerzahlen sehr schwach, da das Volk die Ausgaben des Staates nicht erfahren kann und empfindet, dass seine Steuerzahlungen in keinem Verhältnis zu den Sozialleistungen stehen. Altersrentenkassen wurden missbraucht und eine Pflegeversicherung ist noch nicht eingeführt, während die Anzahl alter Leute zunimmt.[2] Die Unzufriedenheit der armen Leute könnte zu einem instabilen Faktor der Gesellschaft werden. Falls die Politik „Gemeinsamer Wohlstand“ von Xi Jinping tatsächlich die Kluft zwischen den Armen und Reichen verkleinern soll, sind massive Steuerreformen notwendig. Die Einführung einer Benutzungssteuer des Bodens und der Eigentumssteuer wird gemäss Berichten in einigen grossen Städten versuchsweise begonnen.
Industrien und politische Fraktionen
Die Industriesektoren, die bis jetzt von der Politik „Gemeinsamer Wohlstand“ betroffen sind, umfassen vor allem die IT-Branche, die Unterhaltungsbranche, Paukschulen, und Immobilien. Da die Anzahl der Hochschulstudierenden steigt und wegen des vergleichsweise niedrigen Rentenalters (Männer 60, Frauen 50 und in Führungspositionen 55) verkleinert sich die Arbeitspopulation. Die politischen Massnahmen gegen Paukschulen bezwecken wohl eine Zuteilungsreform der Arbeitskräfte vom Tertiärsektor in die Primär- und Sekundärsektoren. Der Gründer von Alibaba hat starke Beziehungen zur Shanghai Fraktion. Die Immobiliengruppe Evergrande Group und andere Immobiliengruppen sowie die Unterhaltungsindustrie, der Energie- und der Benzinautosektor weisen auch sehr enge Beziehungen zur Shanghai Fraktion auf. Xi hat sich über eine CO2-neutrale Klimapolitik geäussert, aber er könnte damit möglicherweise auch die Schwächung seiner Gegner bezwecken. Viele Medien werden von der Gruppe Xis hart kontrolliert und von der KPCh geleitet. Sie sind bereits staatliche Unternehmungen geworden, damit Xis Gegner keine konkurrierenden kritischen Meinungen verbreiten können.[3] Dennoch erscheinen indirekt Xi kritisierende Artikel, was die Stärke des Machtkampfes innerhalb der Partei illustriert. Die Bewegung, in der die gigantischen Internetunternehmungen wie Alibaba unter staatliche Kontrolle gebracht werden, würde aber auch einem anderen Zweck dienen. Es heisst, dass China die staatliche Digitalwährung verbreiten möchte und auch eine Plattform auf der Welt anbieten will. In Zukunft könnte die chinesische Währung die Leitwährung werden und an die Stelle des US-Dollars treten. Die riesigen chinesischen Unternehmungen schufen dafür bereits die Plattform.
Fazit
Xis politische Massnahmen, seine Machtkonzentration und wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen überlappen sich. Zum Weiterbestand der KPCh braucht China wirtschaftliche Reformen. Die die Wirtschaft anführenden Industrien (Immobilien und Bau) erreichten ihre Grenzen. Im Herbst 2022 findet der Parteitag der KPCh statt, und Xis 3. Amtszeit wird wahrscheinlich gesichert. Vor dem Parteitag könnte Xi möglichst viele seiner Gegner in der Shanghai Fraktion und der Liga-Fraktion durch die Politik „Gemeinsamer Wohlstand“ schwächen, indem Firmen in die Insolvenz getrieben und danach in staatliche Unternehmungen umgewandelt bzw. unter Kontrolle gehalten werden. Die Unzufriedenheit des Volkes wegen der grassierenden Korruption und der immer grösser werdenden wirtschaftlichen Kluft unterstützt Xis Politik. Zusammen mit den wirtschaftlichen Reformen wird eine strukturelle Änderung der Arbeitskräfte auf dem Markt bezweckt, damit die Anzahl der Erwerbstätigen im Primär- und Sekundärsektor wieder steigt. Bereits sind die Medien unter Xis Kontrolle und Macht; somit können kritische Meinungen gegenüber Xi nur sehr schwer veröffentlicht werden. China fördert sein digitales Zentralbankgeld. Das Ziel könnte eine sich ausbreitende Nutzung des chinesischen digitalen Zentralbankgeldes sein, und durch das Angebot einer eigenen Plattform soll der Yuan anstelle des US-Dollars als Leitwährung gelten. Die digitale Währungspolitik Xis könnte nebst der Schwächung seiner politischen Gegner auch die Erreichung dieses Ziels bezwecken. Das Jahr 2027 markiert das 100-jährige Jubiläum der Gründung der Volksarmee China. Das Jahr 2049 ist das 100. Jahr nach der Entstehung des kommunistischen Chinas. Die Eroberung Taiwans und die Realisierung der chinesischen Währung als weltführende Währung könnten möglicherweise vor dem Jahr 2049 stattfinden.
[1] JBpress: Hiroyuki Kawashima: Chugoku ni Akimanshon ga Ichiokukoaru wa hontouka? 14.01.2022. https://jbpress.ismedia.jp.
[2] Japan Bank for International Cooperation: JBIC China Report, No. 3. 2017. https://www.jbic.go.jp.
[3] JBpress: Kaori Fukushima: Shukinpei no Dokusai ga tsuinikokomade, Chugokuhoudoukikan ga subete Kokueini, 14.10. 2021. https://jbpress.ismedia.jp.